„Der Dorfteich war durchschnittlich 1 m tief. Und trotzdem ist die Kuh ersoffen.“
(ra) Meine Großmutter Alexandrine stieß mich schon als klugscheißenden Dreikäsehoch auf den Umstand, dass man mit gesunder Skepsis statistischen Werten und Prozentangaben zu begegnen habe.
Insofern nehme ich recht gelassen, dass bundesweit die Freien, die an der Umfrage teilnahmen, eine 41-Stunden-Woche haben sollen. Selbst die acht Stunden „Mehrarbeit“ im Freistaat registriere ich nahezu emotionslos.
Bringt man aber die Arbeitszeit mit den Einkünften in Verbindung, wird es spannend: Da bleibt zwar offen, ob die 49 Arbeitsstunden pro Woche die abgerechnete, demnach bezahlte Arbeitszeit ist oder ob da noch die Stunden hinzukommen (müssten), die für Buchhaltung, Akquise, Fahrerei etc. draufgehen.
Wäre es die bezahlte Zeit, kämen bei einer 49-h-Woche und 2.123 Euro monatlichem Durchschnittshonorar 10,00 Euro Stundenhonorar in Thüringen heraus. Wer hauptsächlich für Tageszeitungen arbeitet, hat gar nur einen Stundensatz von 6,57 Euro.
Offen ist auch, ob die Honorareinnahmen netto oder brutto sind. Schließlich würden diese Umsätze dann noch bei jenen, die umsatzsteuerpflichtig sind (also mehr als 17.500 Euro Umsatz im Jahr machen), um mindestens 7 % ausfallen – vorausgesetzt, die Honorare sind reine journalistische Dienstleistungen. Bei allen anderen würden weitere 19 % abschmelzen.
Doch selbst, wenn die 10,00 Euro bzw. 6,57 Euro Stundenhonorar netto wären, wären sie weit entfernt von auskömmlichen Einnahmen eines Selbstständigen. Umso mehr, da 68 % der Thüringer Freien mit ihrer journalistischen Tätigkeit ihr Haupteinkommen verdienen (Bund 57 %).
Die errechneten Stundenhonorare belegen auch: Die Annahmen des DJV, dass jeder Zweite der Freien im Landesverband eigentlich unter der Armutsgrenze lebt und „Aufstocker“ sein müsste, ist keine Schwarzmalerei. Nicht wenige rettet nur, das Ehe- oder Lebenspartner festangestellt sind und ein zweites Einkommen heimbringen.
Erwägt man dies alles, verblüfft, dass nur jeder 5. Freie mit seiner Auftragslage unzufrieden sei, sie als „schlecht oder sehr schlecht“ empfände.
Womöglich liegt es daran, dass laut Statistik die meisten Thüringer Selbstausbeuter das seit 16 Jahren machen und jeder zweite von ihnen diese Karriere nicht freiwillig startete. Das lehrt Demut bzw. raubt Kraft und Mut, sich gegen solche prekären Verhältnisse zu wehren. Hinzu kommt, dass nur wenige von den Freiberuflern in ihrem Umfeld Beispiele dafür finden, wie es auch anders gehen kann.
Ich werde erst die „Internationale“ zitieren, um mich dann endgültig unbeliebt zu machen:
„Es rettet uns kein höh’res Wesen,
kein Gott, kein Kaiser noch Tribun
Uns aus dem Elend zu erlösen
können wir nur selber tun!“
Seit 2002 arbeite ich als freiberuflicher Journalist. Ich verdinge mich – bis auf wenige Ausnahmen – nicht mehr an Zeitungs- und Zeitschriftenverlage. Aus bekannten Gründen. Die 2.123 Euro Durchschnittshonorar erzielte ich z. B. schon vor einem Jahrzehnt mit den Titeln in Südthüringen bei einer Sechs-Tage-Woche und wenigstens 60 h Arbeitszeit, fuhr bis zu 1.000 km pro Woche quer durch den Freistaat.
Aufträge kamen meist im Laufe des Vormittags mit Lieferfrist bis zum Redaktionsschluss, selten mit ein, zwei Tagen Vorlauf. Das erschwerte, besser: verhinderte jeden Versuch, andere Kunden/Honorarquellen zu finden.
Trotz Fleiß und Einsatz und hochwertiger Zuarbeit blieb am Ende des Monats nach Abzug der Kosten kaum Nennenswertes übrig. Ein Zufall kam zu Hilfe: Ein bundesweit agierender Verband suchte PR-Assistenz, weil er seine Jahreshauptversammlung in Erfurt absolvierte. Ich bekam dafür den Auftrag. Daraus wurde eine bis heute währende Kooperation.
Das gab mir 2005 den Mut, eben auf diese Schiene zu setzen und mich auch über die Thüringer Landesgrenze hinaus zu wagen.
Vor allem jetzt als Öffentlichkeitsarbeiter unterwegs, bekomme ich nun angemessene Honorare. Dafür habe ich aber auch hart gekämpft und vor allem durch Empfehlungen zufriedener Kunden neue Kontakte bekommen.
Meine Botschaft heißt deshalb klipp und klar: Nicht länger mit den bescheidenen Verhältnissen abfinden, Pops hoch bekommen, Krönchen zurechtrücken, Staub aus den Kleidern klopfen und selbstbewusst und souverän auf „Kundenfang“ gehen. Geht noch viel besser, wenn man mit Kollegen erst zur Probe netzwerkt und dann gemeinsam Akquise betreibt. Vor allem dann, wenn man/frau nicht der/die geschickteste VerhandlerIn ist.
Und: Sich NIE unter Wert verkaufen. Auch nicht zum „Anfüttern“etc. Honorare anbieten, von denen man nicht leben kann. Wer sich billig macht, muss sich nicht wundern, wenn er billig behandelt wird.
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